Bericht
- Text: Paul-Philipp Hanske
- Fotos: Yoav Kedem
Guter Rat für mehr Respekt
Die Stadtvertretung Neubrandenburg will mit einem Katalog von Leitlinien die Diskussionskultur im Rat verbessern. Unter den Mitgliedern gab es nicht nur Zustimmung, sondern anfangs auch Skepsis. Aber am Ende haben alle am Prozess mitgewirkt und gewonnen. Ein Erfahrungsbericht.
Oberbürgermeister Silvio Witt hörte Ende 2022 bei einem Fachgespräch der Körber-Stiftung von dem Projekt „Respekt im Rat“. Gesucht wurde eine Pilotkommune, um den Projektansatz zu erproben. Silvio Witt fand das Thema spannend. Kein Wunder: Der parteilose gelernte Bankkaufmann war selbst einmal Inhaber einer Kommunikationsagentur. Er informierte den Stadtpräsidenten, der als Sitzungsleiter ebenfalls Interesse bekundete. Nach Rücksprache mit den Stadtverordneten wurde die Körber-Stiftung eingeladen, das Projekt vorzustellen.
Mehr Empathie und Höflichkeit wagen
Nach der Projektvorstellung forderte die Stiftung die Ratsmitglieder auf, anonym aufzuschreiben, was sie am bisherigen Gesprächsklima stört – und vor allem, was sie sich wünschen. Die Antworten zeigten, dass es Bedarf gibt. Regelmäßig entgleisten die Diskussionen, einzelne Mitglieder hielten verbissen an ihren Positionen fest und waren nicht kompromissbereit. Bei Widerspruch werteten sie ihr Gegenüber ab, oft wurde es persönlich. Auf die Frage „Welche Werte im Miteinander sind mir wichtig?“ schreibt ein Ratsmitglied: „Wertschätzung auch bei unterschiedlichen Ansichten.“ Der Tenor der anonymen Antworten war deutlich: Viele Ratsmitglieder wünschten sich mehr Empathie, höfliche Umgangsformen, weniger Abwertungen und mehr konstruktive Debatten. Vor allem Frauen fühlten sich in ihrem politischen Amt und in ihrer Expertise nicht gewertschätzt, sie beklagten sich etwa über misogyne Kommentare über ihr Alter. Für das Streiten sollte gelten: sachlich statt persönlich. Und immer wieder die Bitte: das Gegenüber ausreden lassen.
Die Versammlung stimmte zu, eine Arbeitsgruppe einzusetzen. Im März 2023 war es dann so weit: Die auserkorenen sechs Vertreterinnen und Vertreter aller Fraktionen, also der SPD, der Grünen, der CDU/FDP, der Linken, der AfD und der Bürger für Neubrandenburg trafen sich in einem Hotel in Klein Nemerow am Tollensesee. Katrin Baum, die für das in Hamburg ansässige „Schulz von Thun Institut für Kommunikation“ Seminare leitet, moderierte in Abstimmung mit den Kolleginnen und Kollegen der Körber-Stiftung das Treffen. Ziel war es, innerhalb von zwei Nachmittagen die gemeinsame Leitlinie zu verfassen.
Ein fordernder, aber ertragreicher Prozess
„Man kann die Position einer Person nachempfinden und muss ihr dennoch inhaltlich nicht zustimmen“, erklärte Katrin Baum. Diese Art von Bewusstmachung sei im kommunikativen Miteinander sehr hilfreich, weil die Sachebene damit von der Personenebene getrennt werde. Diesem Punkt stimmten auch die Anwesenden der Stadtvertretung Neubrandenburgs zu. Ein fruchtbarer Boden war geschaffen.
Nun wurden die Punkte aus den anonymen Fragebögen geclustert, drei Themengruppen entstanden: „Respekt und Wertschätzung“, „Sachlichkeit und Fachlichkeit“ sowie „Offenheit und Transparenz“. Die Mitglieder der Arbeitsgruppe konnten weitere Aspekte ergänzen, die ihnen fehlten. Die wichtigsten Punkte wurden abgestimmt, neue Formulierungen gefunden, Gewichtungen der Reihenfolge vorgenommen. Ein anstrengender, aber am Ende ertragreicher Prozess.
„Die Arbeit lief sehr konstruktiv. Es gab den eindeutigen Willen, gemeinsam etwas Fundamentales zu erarbeiten. Die einzigen längeren Diskussionen gab es eigentlich nur bei der Frage, wie die Leitlinien in der Stadtvertretung präsentiert werden“, berichtet Baum.
Drei Monate danach, Ende Juni 2023, erfolgte die Präsentation. Jan Kuhnert eröffnete als Präsident der Stadtvertretung die Sitzung. Die sechs Teilnehmenden an der Arbeitsgruppe traten vor das Plenum und verlasen die Leitlinien. Das Dokument traf auf viel Zustimmung bei der Versammlung.
Dr. Diana Kuhk von der Fraktion Bürger für Neubrandenburg: „Allen Beteiligten ist im Prozess des Erarbeitens noch einmal klar geworden, dass man im Rat nur um Sachthemen streiten sollte.“ Oberbürgermeister Silvio Witt: „Es handelt sich eigentlich um Selbstverständlichkeiten des zivilisierten Umgangs miteinander. Gut, dass es nun das Bekenntnis zum konstruktiven Dialog gibt. Wir wollen hoffen, dass es sich in der Realität bewährt.“
Am Ende waren sich alle weitgehend einig: Die Stadtvertretung hat sich entschieden, die Lage zum Besseren zu wenden. Im Rahmen des Projekts „Respekt im Rat“ ist so in einem angeleiteten Prozess mit Kommunikationsexpertinnen und -experten ein Dokument entstanden, dem alle Fraktionen zustimmen konnten. Erster Punkt: „Wir gehen respektvoll und wertschätzend miteinander um.“ Zweiter Punkt: „Wir lassen einander ausreden und hören einander zu.“ Danach folgen 14 weitere Punkte, auf die man sich geeinigt hat. Alle haben eines gemeinsam: Es geht um gute Kommunikation.