Bericht
- Text: Paul-Philipp Hanske
- Bilder: Getty Images
Ein Amt, das Respekt verdient
Der Tonfall in deutschen Ratsversammlungen ist rauer geworden, die Polarisierung nimmt zu. Im schlimmsten Fall führt das dazu, dass Politikerinnen und Politiker sich zurückziehen und der Nachwuchs ausbleibt. Woran liegt das? Und mit welchen Strategien kann man Respekt und Sachlichkeit in den Räten fördern?
Menschen, die in der Kommunalpolitik arbeiten, haben in der Regel eines gemein: viel Idealismus und den Willen, Dinge zu verändern und gemeinsam die Zukunft zu gestalten. Die Mandatsausübung, etwa im Gemeinderat oder in der Stadtverordnetenversammlung, ist meist ehrenamtlich und wird lediglich mit geringen Aufwandsentschädigungen vergütet. Dafür jedoch wird von den Politikerinnen und Politikern eine Menge verlangt: Sie müssen sich in komplizierte Bauverordnungen einarbeiten, Budgets auf Herz und Nieren prüfen und bei strittigen Fragen mühsam nach einem mehrheitsfähigen Kompromiss suchen.
„Kommunale Räte sind zentral für das Funktionieren der Demokratie an der Basis – sie sind die Herzkammern der Demokratie“
Umso problematischer ist, dass Kommunalpolitikerinnen und -politiker in den letzten Jahren immer öfter angefeindet, beleidigt und bedroht worden sind. Die Seite der Körber-Stiftung „Stark im Amt“ soll hier Abhilfe schaffen – mit konkreten Tipps zum Selbstschutz und der Möglichkeit zur Vernetzung.
Aber auch innerhalb der kommunalen Vertretungen gibt es Anfeindungen, Abwertungen oder unangemessene Angriffe. Die Studie „Mehr Respekt bitte!“ liefert hier eine Vielzahl an Befunden zur Situation der Diskussionskultur in der deutschen Lokalpolitik. Dafür wurden deutschlandweit 30 Kommunalpolitiker und -politikerinnen mittlerer und großer Gemeinden über Parteigrenzen hinweg befragt. Die Studie zeigt klar, wo die Schmerzpunkte liegen – zeigt aber auch Möglichkeiten auf, die Dinge zum Besseren zu wenden.
Die Forschenden wollten herausfinden, was eine gute Diskussionskultur in kommunalen Gremien überhaupt konkret bedeutet. Ihr Ergebnis: Es geht um gegenseitigen Respekt und um die Beachtung persönlicher Grenzen. Politik bedeutet Streit in der Sache und Auseinandersetzungen um bestmögliche Entscheidungen. Diese können auch hart sein, doch sollte dabei eine persönliche Abwertung des Gegenübers absolut tabu sein. In einer respektvollen Diskussionskultur ist kein Platz für Anfeindungen, Anspielungen auf vermeintliche Schwächen, das Privatleben oder gar Beleidigungen des Gegenübers. Und schon gar nicht für rassistische und sexistische Übergriffe. Und doch stellten die Forschenden fest: Immer häufiger werden solche Tabus in kommunalen Gremien gebrochen.
Die befragten Ratsmitglieder geben an, dass es immer wieder zu Beleidigungen kommt, man einander ins Wort fällt, Sachargumente schlicht missachtet werden. Ein Ratsmitglied aus einer kleinen Gemeinde im Osten Deutschlands berichtet anonym:
„Es kommt vor, dass Gemeindevertreter sich anbrüllen und sich nicht ausreden lassen. Es ist nicht immer so, aber von zehn Tagesordnungspunkten ist es vielleicht einer, bei dem einige richtig aggressiv miteinander umgehen und vergessen, dass es um ein Ehrenamt geht.“
Besonders weibliche Ratsmitglieder berichten von Grenzüberschreitungen und fehlendem Respekt. Sie beklagen den rauen Umgangston, während männliche Kollegen ihnen die Kompetenz absprechen und sie darauf hinweisen, dass man in der Kommunalpolitik eben nicht zimperlich sein dürfe. Sexistische und übergriffige Kommentare sind keine Seltenheit. Parteiübergreifend berichten Politikerinnen und Politiker davon, dass die Störungen oft von einzelnen Personen stammen, die es mit ihrem destruktiven Kommunikationsverhalten immer wieder schaffen, Sitzungen zu sabotieren, Entscheidungen zu verzögern und schlicht für schlechte Stimmung zu sorgen.
Angesichts dieser Entwicklungen, so die Autorinnen und Autoren der Studie, breite sich in den Räten Frustration aus. Oft werde all das nur mit einem „Ethos des Ertragens“ ausgehalten. Allerdings sei fraglich, wie weit diese Leidensfähigkeit reicht.
Die Missstände sind offenkundig. Weniger schnell sind die Gründe dafür zu benennen. Was sich auf parteipolitischer Ebene beobachten lässt: Viele Ratsmitglieder registrieren eine Verschlechterung der Diskussionskultur seit dem Einzug populistischer Parteien in die kommunalen Vertretungen. Seither trüben aggressive Wortbeiträge, geringe Kompromissbereitschaft und Polarisierung im Rat und in den sozialen Medien das Diskussionsklima.
Ein übergeordnetes Phänomen kommt hinzu. Der Soziologe Armin Nassehi beschreibt in einem Interview für die Seite „Stark im Amt“ die allgemeine Tendenz der Gesellschaft zur Radikalisierung und Spaltung, mit der Folge, dass politischen Amtsträgerinnen und -trägern – als Repräsentation einer vermeintlichen Elite – schlicht misstraut wird. Er erklärt: „Interessant ist doch, an welchen Themen sich die Konflikte entzünden. Geschlechterfragen, Migration, Sprachregelungen, also alles Dinge, die sich stark symbolisch aufladen lassen, weil sie für eine angeblich immer schon gültige Ordnung stehen. Die Wut zielt ja nicht auf komplexe Zusammenhänge, sondern auf Sichtbares oder zumindest darauf, was irgendwie sichtbar aussieht. Die Sichtbarkeit spielt bei der Herstellung von Sündenböcken eine ganz große Rolle.“
Soziale Medien fungieren bei diesen Prozessen oft als „Durchlauferhitzer“. Innerhalb einzelner sogenannter „Meinungsbubbles“ kommt es oft zu Radikalisierungen. Auch in kommunalen Gremien sind diese Entwicklungen spürbar.
Um die Situation in den kommunalen Räten zu verbessern, hat die Körber-Stiftung in Kooperation mit dem Hamburger „Schulz von Thun Institut für Kommunikation“ die Initiative „Respekt im Rat“ erarbeitet. Der Gründer und Namensgeber dieses Instituts, der Hamburger Kommunikationspsychologe Friedemann Schulz von Thun, bringt die Grundlagen der Debattenkultur auf den Punkt:
„Harte Konflikte können nur in einer Gesprächs- und Kommunikationskultur gelöst werden, die verschiedene Teilwahrheiten würdigt, unterschiedliche Positionen gelten lässt und diese dann im gemeinsamen Ringen zusammenführt.“
Die anonymen Befragungen der Ratsmitglieder haben etwas Wichtiges gezeigt: Bereits das Nennen von Schmerzpunkten und die Suche nach Verbesserungsideen leiten einen Prozess der Verbesserung der Debattenkultur ein, der mit dem Programm „Respekt im Rat“ aufgegriffen und produktiv gestaltet werden kann. Auf der Basis konkreter Vorschläge erarbeiten und verschriftlichen die Teilnehmenden ihren eigenen Kodex. Die Regeln, die so entstehen, sind zwar nicht rechtlich bindend, aber doch eine Selbstverpflichtung, auf die man sich im hektischen Debattenalltag berufen und die in die Geschäftsordnung aufgenommen werden kann.